ZEICHNEN | ZEIGEN | BÜCHER | BILDERREIHEN | MATERIAL | MUSIK
ZEICHNEN
Gefundenes, Erfundenes, Zufälliges, Erinnertes. Wiederholung. Spuren erzeugen, suchen, erkennen, variieren und überprüfen, ob es als Zeichnung, Bild besteht. Kein Thema, keine Agenda, weder Welt- noch Selbsterkundung oder doch: arbeiten und erneut machen. Zeichnen und malen, nur zeichnen und malen, schmieren und kritzeln, auch mutlos, gelegentlich beherzt, ungemein körperlich, meist verwirrt, dann wiederholen, nochmals zeichnen und malen, schneiden, neu zusammensetzen.
Eher tonlose Musik.
Ich schreibe keine Worte, zeichne nichts Bestimmtes. Es ist nur die Bewegung, die Geste, der Habitus, eine Art Substrat des Schreibaktes, der Linien, die ich fand und abrufe. Mein Zeichnen ist ein Trotten und Stolpern ohne Eleganz, ab und an stehen bleiben und nachdenken oder so tun als würde ich nachdenken, mehr nicht. Gut oder schlecht, bedeutend oder irrelevant, singulär oder so ähnlich wie…. Ich weiß es nicht und meistens will ich es auch nicht wissen. Sicheres oder Entschiedenes macht mich argwöhnisch, es ist die Haltung derer, die haben oder haben wollen. Das Bedürfnis nach Gewissheit, nach überlegener Gewissheit, nach Überlegenheit und dann in der Folge nach Macht und Besitz ist mir nicht fremd. In allen Bereichen unserer Kultur und Lebenswirklichkeit etablierten sich Verfahren, für die Haben, Beurteilen, Verurteilen, Kategorisieren, Optimieren und Abgrenzen konstituierend sind. Wir sollen/müssen/wollen unsere Sehnsüchte, Anliegen, Hoffnungen, die Liebe in Besitz und Gewissheit materialisieren.
In meinem Verhältnis zu meinen Zeichnungen und Bildern funktioniert das nicht. Die Kategorien sicher, klar oder entschieden gelingen nur kurz und dann kippt meine Gewissheit weg. Ich will, dass das Ungewisse, das Fragile, das Fragliche, das Unsichere, das Ungenaue, das Provisorische, das Ungefähre und das Flüchtige konstituierend für meine Arbeit sind.
Vermutlich ist es sogar so: nur wenn eine Zeichnung mir die Gewissheit verweigert ist sie vielleicht für den Moment brauchbar und das sollte genügen.
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Malen und Zeichnen, das resultierende „Material“ zeigen. Nicht fertige Bilder, sondern vergegenständlichte Möglichkeiten von Bildern.
Prozess und Materialität sicht- und erfahrbar machen.
Keine Distanz inszenieren, Glas oder Rahmen vertragen die Arbeiten eher nicht.
Das Material sehr unmittelbar an die Wand gepinnt, ohne Abstand.
Bücher, die Malerbücher, Künstlerbücher ausgelegt auf mehreren Metern schmaler grauer Tische können, dürfen, sollen in die Hand genommen werden.
Ich betrachte die Ungewissheit, die Unsicherheit, die Ungenauigkeit, das Ungefähre, die Fragilität, das Fragliche, das Flüchtige, das Provisorium als konstituierend für meine Arbeit. Mein Schaffen und das entstandene Material skizzieren und reflektieren – so die Mutmaßung – meine Haltung und mein Verhältnis zum Sein und Gewordensein, der Welt und den Realitäten. Mag sein, dass diese Sicht auch durch mein Tun als Sozialarbeiter geprägt ist, aber auch umgekehrt das künstlerische Tun Auswirkung auf meine Haltung als Sozialarbeiter hatte und hat.
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Bücher sind ein gangbarer Weg Material zu ordnen, in eine Form zu bringen, die einigermaßen stabil ist. So ist das Material nicht in Gefahr weiter bearbeitet, noch einmal übermalt, zerschnitten oder zerlegt zu werden. Andererseits beendet die Form die Vorläufigkeit, das Provisorische.
Jedes Buch skizziert einen Raum, den die Betrachtenden alleine betreten. Das Blatt nicht ausgestellt, zusammengestellt, eingebunden, eine Doppelseite nach der anderen, ein definierter Abstand. Berührung, die Hände sind mit im Spiel. Dies kommt der Körperhaltung beim Entstehen der Zeichnung nahe, eine ganz andere Bewegung, als das Betrachten der Bilder an der Wand.
Die Bücher haben einen deutlichen Objektcharakter, man nimmt sie in die Hand, kann sie zuklappen und stapeln, weglegen, mitnehmen. Den Raum schließen.
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Die Bilderreihen, in denen sich häufig mein Zeichnen und Malen ordnet, sind in der Regel durch ein einheitliches Format und Trägermaterial (Papier oder Nessel) in Serien von 6, 12, 18, 24v, 60 bis 200 Arbeiten bestimmt. In den Bilderreihen scheint das einzelne Bild austauschbar. Es könnte anders sein, das eine Bild ist eine Variante des anderen, manches wirkt provisorisch oder unfertig. Jedes Bild ist lediglich eine Möglichkeit: einerseits singulär, andererseits als einzelnes wiederum gar nicht so bedeutsam. Es gibt ein Wissen, aber kein sicheres, nur vorläufiges.
Reihen abzuschließen ist immer eine fast sonderbar anmutende Beschwörung der Vollendung einer Arbeit. Wenn Dinge vorläufig, nie endgültig sind, vollkommen anders sein könnten und einem permanenten Diskurs und Prozess unterliegen, dann mündet das Bemühen um einen Abschluss zu guter Letzt im Mühen um neues Material, dem Beginn einer neuen Reihe.
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Den Begriff Material verwende ich für alle Zustände meiner Arbeiten.
Die Blätter, die malend und zeichnend entstehen sind Material. Nichts Fertiges, etwas Vorläufiges, mithin etwas, das gesichtet, überarbeitet, zerschnitten, zusammengeklebt, geordnet werden muss und dann – im besten Fall – zu Büchern oder Reihen verdichtet wird. Das scheinbar Fertige, die Bücher und Reihen bezeichne ich weiterhin als Material. In diese Form gebracht wird daran in der Regel nicht mehr weiter gearbeitet.
Der Begriff Material deutet das Entstandene als nicht abgeschlossen, als Möglichkeit, als Fragment, auch wenn die Form Abgeschlossenheit impliziert. Bücher sind insofern Akte der Verzagtheit. Sie beenden die Vorläufigkeit. Ein nicht mehr veränderbarer Raum, aber immerhin einer, der geschlossen und weggelegt werden kann.
Werk oder Werke sind vermutlich die Begriffe, die in diesem Kontext dem Begriff des Materials gegenüberstehen. Kunstwerk, Meisterwerk, Gesamtwerk. Sehr mächtig.
Arbeit(en) und Material, diese Worte sind ausreichend, um das zu fassen was ich mache.
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„Die totale Abstraktion der Kunst, das ist die Musik.“ (Hanne Darboven)
Der Umgang mit der Abstraktion in der Musik fasziniert mich. Eine Melodie, eine Tonfolge, ein Geräuschsequenz, einen Rhythmus steht erst einmal für sich, einfach weil jemand das erfunden oder gefunden hat – wie auch immer. Es hat etwas willkürliches, aber in der Regel ist es nicht beliebig, es steht in einer Tradition ist aber vielleicht trotzdem ganz neu.
Es ist Material das bearbeitet, wiederholt und variiert, orchestriert, von verschiedenen Instrumenten interpretiert wird. Kontext / Konzepte / Mittel / die vollkommen abstrakten Elemente verdichten, vielleicht dann zu etwas Konkretem, fass- und benennbarem, das Haltung, Weltsicht und Weltverständnis zum Ausdruck bringt.
Diesen Arbeitsansatz verfolge ich letztlich beim Zeichnen.
Eine „fast“ neue Linie und dann Varianten von Varianten, verdichten durch Reihung und Reihen.
So verspüre ich auch formal eine Nähe zu dem Konzept des Zyklus in der Musik; hier vor allem die Klavierzyklen von Ustvolskaya, Scelsi, Ligeti, Kurtág, Nancarrow, Hindemith, Schoenberg, Schostakowitsch usw.; Stücke ohne Vorspiel, kurz, eher klein, vielfältig und unterschiedlich, das einzelne Stück immer fragmentarisch, fragend, das nächste andeutend oder verweisend oder ganz anders, immer abstrakt. Der gesamte Zyklus dann mächtig und großartig. Ein Arbeitsansatz und eine Haltung.